Fee Kalter: Gewohnheiten zu verändern, ist schwierig, weil diese Routinen ein integraler und wichtiger Bestandteil unseres Alltagslebens sind. Wir denken nicht über sie nach. Um Gewohnheiten zu ändern, brauchen wir spezifische, realistische und messbare Ziele. Und wir müssen in Situationen, denen wir routiniert wenig Aufmerksamkeit widmen, plötzlich bewusst handeln. Der Hirnforscher Gerhard Roth beschreibt den dabei einsetzenden klassischen Lernprozess als eine Wechselwirkung zwischen auslösendem Reiz, Routinehandlung und Belohnung. Oft genug wiederholt, werde dieser Pfad irgendwann automatisch abgeschritten. Das ist ein gewisser Aufwand: Es kostet uns also etwas, Gewohnheiten zu ändern.
Fee Kalter: Beim Energiesparen könnte ein spezifisches Ziel sein: Ich möchte den Energieverbrauch um zehn Prozent senken. Dieses Ziel können wir sogar messen, wenn wir Informationen über unsere Verbrauchsdaten erhalten. Aber ist es auch realistisch? Diese Frage lässt sich nur individuell beantworten. Dabei spielt es beispielsweise eine Rolle, wie gut ich mich selbst regulieren kann, von welchem Verbrauchsniveau ich starte und ob ich Verhaltensweisen finde, die ich auch ändern möchte. Denn es fällt uns deutlich leichter, etwas zu tun, was wir selbst wollen.
Es ist übrigens völlig normal, dass wir uns nicht von jetzt auf gleich verändern können. Manchmal brauchen wir erst einmal einen Denkanstoß, aus dem sich eine neue Gewohnheit herausbilden kann. Deswegen ist es auch in Ordnung, mit kleinen Zielen zu starten.
Fee Kalter: Die Forschung ist sich da uneinig. Einige Studien gehen von 66 Tagen oder 6 Wochen aus. Fest steht: Je anstrengender die neue Gewohnheit ist, desto länger dauert es, sie anzunehmen. Außerdem kann es noch nach Monaten zu einem Rückfall in alte Routinen kommen – vor allem in Stresssituationen. Für die Veränderungswilligen bedeutet das, sie sollten sich im Vorfeld überlegen, was sie bei Stress machen. Viele Menschen nehmen beispielsweise ein heißes Bad, um zu entspannen. Das ist Energiesparwilligen nicht zu empfehlen. Doch was können sie stattdessen tun? Wir sehen: Ich muss relativ viele Schritte bedenken und eine Menge Reflexionsvermögen besitzen, wenn ich eine Gewohnheit nachhaltig ändern will.
Fee Kalter: Es gibt beim Energiesparen finanzielle Anreize. Außerdem stehen viele Menschen in einer Art Wettbewerb mit sich selbst: Dann können Vergleiche mit dem eigenen Verbrauch im Vormonat oder im vergangenen Jahr schon helfen.
Solche extrinsischen, von außen kommenden Motive funktionieren allerdings nur begrenzt. Nach der eigenen Überzeugung, also aus intrinsischen Motiven zu handeln, kann den Alltag viel stärker beeinflussen. In unserem Fall spielt also das Umweltbewusstsein eine entscheidende Rolle, weil es das Handeln ohne Zwang lenkt.
Fee Kalter: Aus psychologischer Sicht wirken kleine Anschubser, auch Nudging genannt, besser als starre Regeln und Strafen. Wenn Supermärkte beispielsweise gesunde Lebensmittel attraktiv präsentieren oder Autofahrer auf der Landstraße per Display einen Smiley für ihre vorbildliche Geschwindigkeit erhalten, verstärken wir ein erwünschtes Verhalten positiv. Wir verändern das Bewusstsein und in der Folge auch das Handeln.
Die steigenden Energiekosten tragen vielleicht ihren Teil dazu bei, dass Menschen weniger heizen. Trotzdem bleiben sie ein negativer Motivator und führen eher nicht oder nicht allein zu einer langfristigen Verhaltensänderung.
Fee Kalter: Eine psychologische Theorie geht davon aus, dass die Ausführung eines Verhaltens umso wahrscheinlicher ist, je mehr die Betreffenden davon überzeugt sind, ihr Verhalten unter Kontrolle zu haben. Deswegen hilft es, sich bewusst zu machen: Ich habe die Fähigkeit, in meiner Umwelt und Umgebung einen Beitrag zu leisten. Das kann auch immaterielle Werte betreffen, zum Beispiel: Ich habe Freunde über Energiesparen aufgeklärt und wir bemühen uns jetzt gemeinsam, etwas für die Umwelt zu tun. Ich stelle fest, dass ich mich fitter und gesünder fühle, weil ich häufiger das Fahrrad nehme.
Wir erwarten häufig die ganz großen Wirkungen und vergessen dabei, dass der kleinste Schritt schon dazu beiträgt, Großes zu bewirken.
Fee Kalter: Die Daten machen die Folgen meines Verhaltens und meine Ziele messbar. Das hilft uns, Dinge zu begreifen und eine direkte Auswirkung zu sehen. Aber es ist wichtig, dass gleichzeitig eine Aufklärung stattfindet und die Verbraucher:innen erfahren, warum sie die Daten erhalten und welchen Nutzen das für sie hat. Menschen möchten verstehen, warum sie Energie sparen sollten.
Ob sich eine Person von den Vergleichsdaten zu einer Verhaltensänderung motivieren lässt, hängt auch damit zusammen, wie viel Aufwand damit verbunden ist. Für eine sehr umweltbewusste Nutzerin ist der Schritt kleiner als für jemanden, der bislang noch nicht über seinen Energieverbrauch und die Folgen für die Umwelt nachgedacht hat. Auch wenn der eigene Verbrauch weit über dem eines Standardnutzers bzw. einer Standardnutzerin liegt, kann das demotivieren. Dann ist der Aufwand hoch, sich diesem Standard anzunähern.
Fee Kalter: Wir sollten realistisch bleiben und nicht nur an das große Ziel denken, sondern viele kleine Schritte gehen. Wenn ich mir vornehme, jetzt ein umweltbewussterer Mensch zu werden, bislang aber aufgrund meines Verhaltens eine sehr schlechte Ökobilanz habe, kann ich nicht erwarten, diese von heute auf morgen zu ändern. Die Implementierung kleiner Gewohnheitsveränderungen – Micro-Habits – hilft dabei. Das kann erst einmal sein, sich mit dem Thema zu beschäftigen und dann darauf aufzubauen. Erst Sinnzusammenhänge motivieren nachhaltig. Fehlen sie, werden wir auf lange Sicht gar nichts ändern.
Wer sich bereits auf den Weg gemacht hat, profitiert oft von einer Art Rückschau. Dabei lassen wir uns von dem motivieren, was wir bereits erreicht haben. Auch der Austausch mit anderen oder ein Selbstgespräch kann Verhalten stärken. Manche Menschen kleben sich dann Affirmationen wie „Ich bin ein Mensch, der Wert auf Nachhaltigkeit legt“ auf den Spiegel, um sich jeden Morgen daran zu erinnern.
Fee Kalter: Wir sollten das aus zwei Perspektiven betrachten: Was kann jede und jeder individuell tun? Wie können Organisationen aufklären? Psycholog:innen gehen davon aus, dass allein das Verständnis von Phänomenen dazu beiträgt, diese zu reflektieren und zu verringern. Das bedeutet nichts anderes, als Menschen darüber aufzuklären, was der Rebound-Effekt ist, welche Auswirkungen er hat und warum es im Sinne der Umwelt ist, ihn bewusst zu minimieren.
Auch Schulen können über den Zusammenhang reden und Umweltfreundlichkeit positiv besetzten. Ich habe das Gefühl, dass sich bei der jungen Generation in dieser Hinsicht bereits etwas verändert hat. Sie sind mit ihrem oft starken Umweltbewusstsein sicher weniger anfällig dafür, eingesparte Energie an anderer Stelle auszugeben.
Fee Kalter: Ich schaffe es auch oft nicht, automatisierte Verhaltensweisen zu ändern. Aber mein theoretisches Wissen hilft mir, mich auszutricksen. Deswegen integriere ich neue Verhaltensweisen in gewohnte Rituale. Zum Beispiel hatte ich mir vorgenommen, mehr Sport zu machen. Also habe ich angefangen, jeden Morgen zehn Minuten Workout nach dem Zähneputzen und vor dem ersten Kaffee zu machen. Zwei Wochen war das anstrengend, dann immer noch nicht so angenehm, aber jetzt gehört es für mich zu meinem ganz normalen Tagesablauf dazu. Deswegen ist mein Tipp: Schiebt neue Elemente einfach irgendwo in euren gewohnten Ablauf. Dann ist die Umstellung weniger hart.